Stolpersteinverlegungen & Gedenktafel-Einweihung am 19.04.2021 in Leipzig und im Leipziger Land – ein Rückblick

Gestern haben wir in Geithain, Bad Lausick und Pegau Stolpersteine verlegen und in Leipzig eine Gedenktafel zu Ehren eines „Stillen Helden“ einweihen können. Heute möchten wir auf diesen besonderen Tag zurückblicken und ein paar Eindrücke der Verlegungen mit Ihnen und Euch teilen.

Aufgrund der aktuellen Lage wurden alle Veranstaltungen im Rahmen angemeldeter Kundgebungen und unter Einhaltung der entsprechenden Maßnahmen zum Infektionsschutz durchgeführt. Wir freuen uns, dass es trotz der widrigen Umstände möglich war, den verschiedenen Personen und ihren Geschichten zu gedenken und bedanken uns bei allen, die daran mitgewirkt, die Projekte unterstützt oder an den Veranstaltungen gestern teilgenommen haben.

 

Geithain

In Geithain wurde ein Stolperstein für Paul Weise in der Eisenbahnstraße 1b verlegt. Gedacht wurde dadurch nicht nur dem ersten Bürgermeister Geithains, sondern auch einem ehemaligen Sozialdemokraten und Kommunisten, der aus politischen Gründen durch das nationalsozialistische Regime verfolgt, mehrfach inhaftiert und gefoltert worden war. Nach der Befreiung wurde Weise für sein anhaltendes politisches Engagement als „Kämpfer gegen den Faschismus“ geehrt sowie mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Bronze ausgezeichnet. Nun konnten wir ihm an seiner letzten freiwilligen Wohnstätte in Geithain ebenfalls gedenken. Das Projekt hatte im Frühjahr 2020 begonnen und war mit Schülerinnen und Schülern der Paul-Guenther-Oberschule in Kooperation mit dem Flexiblen Jugendmanagement (FJM) sowie dem Schweizerhaus Püchau e.V. durchgeführt worden. Auch die Schulleitung der hiesigen Oberschule nahm an der Verlegung des Stolpersteins teil und sagte ein paar Worte. Eine besondere Freude war es, dass die mittlerweile 100 Jahre alte Tochter (geb. Gertrud Weise) von Paul Weise an der Veranstaltung teilnehmen konnte.

 

Bad Lausick

In Bad Lausick durften wir die verfolgten Kommunisten Dora und Walter Baunack ehren, die einst in der (heutigen) Fabianstraße 10 gelebt haben. Das Projekt hatte der Verein in Zusammenarbeit mit der Werner-Seelenbinder-Oberschule durchgeführt. Durch die Verlegung der beiden Stolpersteine wurden nun mittlerweile alle großen Opfergruppen der NS-Verfolgung in Bad Lausick durch Stolpersteine bedacht – so finden sich in der Stadt bereits Gedenksteine für verfolgte Juden/Jüdinnen, Sozialdemokraten, Zeugen Jehovas sowie für Opfer der NS-Euthanasie.

Neben den Projektverantwortlichen, einigen Anwohner:innen und Passant:innen, der regionalen Presse und dem Motorradclub „Kuhle Wampe“ Muldental konnte auch Herr Bürgermeister Hultsch der Veranstaltung beiwohnen und ein paar Worte an die Teilnehmenden richten. Die Schülerinnen und Schüler haben die Verlegung selbst durch ein wunderbar ausgearbeitetes Rahmenprogramm begleitet.

Wenngleich die heute in Polen lebende Tochter der Baunacks leider aufgrund der derzeitigen Pandemielage nicht zur Verlegung der Stolpersteine für ihre Eltern anreisen konnte, wird am heutigen Dienstag ein Zeitzeugengespräch mit ihr und den Schülerinnen und Schülern über „Zoom“ durchgeführt. Wir freuen uns außerdem darüber, dass sie im Sommer, sofern es die Pandemie zulässt, gerne nach Leipzig und Bad Lausick kommen und die Steine besichtigen möchte.

Pegau

Am Nachmittag wurden dann in Pegau insgesamt fünf Stolpersteine in Erinnerung an verfolgte Jüdische Menschen in die Gehwege eingelassen. Dadurch kam ein Projekt zum Abschluss, das mit Schülerinnen und Schülern des Groitzscher Wiprechtgymnasiums sowie mit Konfirmand:innen aus Pegau durchgeführt worden war.

Am Kirchplatz 11 konnte nun nach mehrmaliger pandemiebedingter Terminverschiebung der jüdischen Familie Sternreich, bestehend aus Wilhelm Victor und Selma Sara (geb. Blonder) sowie ihren beiden Söhnen Georg und Leo/Leon, gedacht werden. Die Familie war im Oktober 1938 im Zuge der Polenaktion deportiert und später in das jüdische Viertel Bresko, das spätere Ghetto, gebracht worden. Über das weitere Schicksal der Familie liegen keine ausreichenden Informationen vor. Der Vater, Wilhelm Victor, gilt als umgekommen – seine restliche Familie als verschollen.

Nur unweit von der ersten Verlegestelle, in der Breitstraße 24, wurde anschließend ein Gedenkstein in Erinnerung an die Jüdin Ilse Charlotte Flade (geb. Arnholz) verlegt, die auch aufgrund ihrer Ehe mit einem nicht-jüdischen Mann 1944 nach Theresienstadt deportiert und dort im Alter von 53 Jahren ermordet wurde.

An den Verlegungen in Pegau nahmen um die 60 Personen teil – es macht uns jedes Mal sehr froh, dass wir auch aus der Zivilbevölkerung so viel Unterstützung für unsere Projekte bekommen. Uns erreichten direkte Dankesbekundungen für unser Engagement und unsere Arbeit, die auch als tagespolitisch wertvoll wahrgenommen wird.

Die Verlegungen wurden durch den Pegauer Posaunenchor sowie durch den Herrn Bürgermeister Rösel unterstützt, der ebenso wie die Gemeindepädagogin Eva Reiprich eine eigene Rede hielt. Die Konfirmand:innen, die von Frau Reiprich bei der Projektdurchführung betreut und begleitet worden waren, hatten überdies selbst eigene Redebeiträge vorbereitet.

    

Leipzig

Den Abschluss des Tages stellte dann um 16 Uhr die Einweihung einer Gedenktafel zu Ehren des „Stillen Helden“ Theodor Kranz dar. Zu seinen Taten im Leipziger Rettungswiderstand hatten Schüler:innen des Maria-Merian-Gymnasiums aus Schkeuditz recherchiert. Theodor Kranz hatte sich nach der Deportation und Ermordung seiner jüdischen Ehefrau Beate über mehrere Jahre hinweg für den Schutz ihrer Tochter Leonie Frankenstein und deren Familie eingesetzt. Und tatsächlich gelang es, die kleine Familie vor den Zugriffen der Gestapo zu verstecken und zu bewahren. Nach Kriegsende floh Kranz 1953 aus Leipzig. Bis zu seinem Tod 1980 lebte er in Übach-Palenberg, nahe der niederländischen Grenze.

Dem bereits 2013 posthum von der Israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrten Kranz konnte nun durch eine Gedenktafel an der Fassade des Hauses, in dem er zuletzt (nach der Ausbombung seines Wohnhauses in der Dresdner Straße 14) in Leipzig gelebt hatte, gedacht werden. Die Gedenktafel soll fortan an seinen selbstlosen Einsatz für die jüdische Familie erinnern, ihn als „Stillen Helden“ ehren.

 

An der Gedenktafeleinweihung an der Zschocherschen Straße 86 nahmen nicht nur Schülerinnen der Projektgruppe, sondern auch Interessierte und Familienangehörige teil. Der Schkeuditzer Oberbürgermeister Rayk Bergner reiste ebenfalls an und betonte in seinem Redebeitrag die Bedeutung der erinnerungskulturellen Projekte und der gelebten Zivilcourage, für die Theodor Kranz als Vorbild gesehen werden kann. Besonders bewegend war eine Audioaufnahme, über die sich der Ehemann der Leonie Frankenstein – der in Stockholm lebende Walter Frankenstein – mit persönlichen Worten an die Veranstaltungsteilnehmenden richtete. Aber auch für den Redebeitrag der Großnichte Karola Mehlhorn, die zusammen mit ihrem Cousin angereist war, sind wir sehr dankbar. Es sind diese persönlichen Geschichten und Erzählungen, die unsere Projekte und die darin behandelten Schicksale auch für uns umso mehr greifbar und lebendig machen.

Insofern es die Pandemie zulässt, ist im Sommer ein umfassenderes Familiengespräch angedacht.

Abschließend möchten wir uns als Verein für die besonders wichtige und bedeutsame Unterstützung aus der Zivilgesellschaft bedanken. Alle erinnerungskulturellen Produkte, die wir in Leipzig und im Leipziger Land in den öffentlichen Raum integrieren, werden ausschließlich mit Spenden finanziert.
Ohne diese Unterstützung könnten wir unsere Arbeit nicht durchführen – diese Arbeit, die auch in der aktuellen Zeit weiterhin enorm wichtig bleibt. Denn wir dürfen nicht vergessen, was geschehen ist. Nicht nur, weil es wichtig ist, sich an die Schicksale der NS-Verfolgung zurück zu erinnern, sondern auch, weil wir durch die Stolpersteine gleichermaßen mahnen – mahnen, nicht zu vergessen. Mahnen, aufmerksam zu bleiben, wenn uns Rassismus, Antisemitismus, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit begegnen. Mahnen, aufzustehen gegen diese gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit und einzustehen, für ein tolerantes und demokratisches Miteinander – denn noch immer gibt es diese Weltbilder und Ideologien und es bleibt unsere Aufgabe, alles daran zu setzen, dass sich die Geschichte niemals wiederholt. Hierzu gehört ferner, den erinnerungskulturellen Konsens in unserer Gesellschaft mit unserer Arbeit abzubilden.

Die Projekte wurden durch das Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“ des Freistaats Sachsen sowie durch die F.C. Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz gefördert.