Ein Stolperstein für Willy Michaelis

Im Dezember 2023 recherchierten rund 20 Spieler der U15-Mannschaft vom 1. FC Lokomotive Leipzig, Verein für Bewegungsspiele e.V. im Rahmen einer Seminarwoche zu dem ehemaligen jüdischen Sportarzt des VfB Leipzig, dem Vorgängerverein des 1. FC Lok, Dr. med. Willy Michaelis. Außerdem wurde während der Projektwoche ein thematischer Schwerpunkt auf Antisemitismus und Rechtsextremismus (heute und damals) gelegt. 

Zu Beginn der Woche gab es eine Einführung in die Thematik des Nationalsozialismus durch Dr. Nils Franke. Außerdem wurde auch der Holocaust, speziell im Konzentrationslager Auschwitz, behandelt. Dr. Gerlinde Rohr stellte bei einer Exkursion in das Alte Rathaus die Geschichte des jüdischen Fußballs in Deutschland mit Fokus auf SK Bar Kochba und den VfB in Leipzig vor. Durch einen Vortrag von dem Sportjournalisten Ronny Blaschke, beschäftigten sich die Spieler mit Menschenrechtsverletzungen im Fußball am Beispiel der WM in Katar und mit der in Teilen rechtsextremen Fußballfanszene in Deutschland. 

Dr. med. Willy Michaelis wurde am 21.01.1886 in Meseritz, im heutigen Polen, geboren. Nach seinem Medizinstudium und dem Dienst als Sanitätsoffizier im Ersten Weltkrieg arbeitete er ab 1914 in seiner eigenen Praxis in der Simsonstraße 2 (hieß von 1935 bis 1945 Von-der-Pfordten-Straße) als Facharzt für Orthopädie und als Sportarzt. Michaelis lebte mit seiner Frau Marie in Leipzig und hatte vier Kinder. Außerdem war er ab 1920 in der Bundesschule des Arbeiter-Turn- und Sportbundes Deutschlands (ATSB) in Leipzig tätig, wo er hunderte Lehrgangsteilnehmer sportärztlich untersuchte, betreute und für ihre Tätigkeit als Übungsleiter in den Vereinen mit ausbildete. 1924 war er Gründungsmitglied des Deutschen Ärztebundes zur Förderung der Leibesübungen. Außerdem gehörte er 1928 zum deutschen Ärzteteam der Olympischen Winterspiele in St. Moritz. Im selben Zeitraum war er Mitglied im VfB Leipzig und wirkte dort ehrenamtlich als Sportarzt. Dazu gehörten auch die Fußballer des VfB (heute 1. FC Lokomotive Leipzig), von denen zu dieser Zeit allein zehn Mannschaften im Punktspielbetrieb standen. 1936 wurde jedoch seine „Abmeldung“ bekannt. Auch seine Funktionen im Ärztebund musste er aufgrund seines jüdischen Glaubens zu Hitlers Machtantritt 1933 aufgeben. So war er von 1931 bis 1933 der letzte ordnungsgemäß gewählte Vorsitzende des Ärztebundes vor dessen Umbenennung in „Deutscher Sportärztebund“ und der Eingliederung in den Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebund. Er hatte von 1933 bis 1939 den Vorsitz des jüdischen Tennisclubs „Rot-Weiß“ inne und war zudem von 1928 bis 1936 Gemeindevertreter der Israelitischen Religionsgemeinde Leipzig.

Am 10.11.1938 wurde er im Zuge des Novemberprogroms in seiner Wohnung in der damaligen Sidonienstraße 67 (heute Paul-Gruner-Straße) verhaftet und anschließend in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Unter großen Mühen von Tochter und Mutter kam es am 25.11.1938 zu seiner Entlassung, die mit dem Zwang, das Land schnell unter Aufgabe des Besitzes zu verlassen, verbunden war. Aufgrund des Approbationsentzugs am 30. September 1938 musste auch die Praxis schnell aufgelöst werden. Im März 1939 floh er mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern nach Großbritannien, wo er bis zu seinem Tod 1961 erst in Coventry, dann in London lebte. Zudem wurde ihm 1940 die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen. Nachdem er anfangs keine Erlaubnis erhielt, als Arzt zu praktizieren, wurde ihm während des Zweiten Weltkriegs aufgrund des Ärztemangels im Land angeboten, in einer Notfallaufnahme zu arbeiten. Bis 1958 führte er wieder eine eigene Praxis in London. Außerdem war er im Highland Hospital tätig und behandelte v. a. Kinderlähmungen.

Die Stolpersteinverlegung für Willy Michaelis findet im Sommer 2024 in der Paul-Gruner-Straße 67 in Leipzig statt.

Dr. med. Willy Michaelis bei sportärztlichen Untersuchungen in der Bundesschule des ATSB 1925

Die Projektgruppe bei der Recherche