Ein Stolperstein für Werner Kähler
Auch ein Stolpersteinprojekt zusammen mit Schüler*innen des Anton-Pilipp-Reclamgymnasiums in Leipzig begann im Frühjahr 2019. 11 Schüler*innen der (ab dem Schuljahr 2019/2020) Klassen 8 bis 10, die sich zur queeren Schüler*innen-AG der Schule zusammenschlossen, nehmen im außerschulischen Rahmen am Stolpersteinprojekt teil. Die Gruppe bildet die erste queere AG an einer Schule in Sachsen. Neben ihres Engagements für queere Themen, unter anderem durch die Erstellung einer Infotafel für die Schule mit wichtigen Ansprechpartner*innen und Adressen für queere Jugendliche in Leipzig, entschloss sich die Gruppe, ab März 2019 im Rahmen der AG ebenso an einem Stolpersteinprojekt in Begleitung durch Gloria Pfister vom Erich-Zeigner-Haus e.V. teilzunehmen. Verlegt soll der erinnerungskulturelle Gedenkstein für Werner Richard Kähler als Projektergebnis im November 2019. Werner Kähler war einer der in Leipzig aufgrund seiner Homosexualität von den Nationalsozialisten Verfolgten. Zum ersten Mal begleitet der Verein damit ein Projekt zu einem unter dem Rosa Winkel verfolgten Menschen.
In den ersten Projekttreffen erarbeiteten die Schüler*innen theoretische Grundlagen – so behandelten sie im Projekt die Idee der Stolpersteine, den Ablauf und Etappen des Nationalsozialismus sowie Grundzüge der NS-Ideologie. Ganz spezifisch setzte sich die Gruppe mit dem Männer- und Frauenbild der Nationalsozialisten und in diesem Zusammenhang auch mit der Verfolgung homosexueller bzw. queerer Menschen im Nationalsozialismus und dem Paragraphen 175, unter dem betreffende Männer verfolgt wurden, auseinander.
Vor den Sommerferien 2019 verfasste die Gruppe außerdem erste Texte für den zukünftigen Projektflyer und begann auch die Recherche zu Werner Kähler. Nach den Ferien wird die Gruppe schließlich die Originaldokumente zu W. Kähler im Staatsarchiv einsehen können und sein Schicksal umfassend dokumentieren. Ab Oktober will die AG mit dem fertiggestellten Projektflyer auf Spendensammlung gehen. Erste Spenden konnte die Projektgruppe jedoch schon gewinnen – neben dem von ihnen organisierten Flashmob (siehe Foto) zum IDAHOBIT am 17. Mai (International Day against homophobia, biphobia and transphobia) informierten sie Mitschüler*innen und Interessierte in der Schule über das Projekt erreichten bereits eine teilweise Finanzierung des Stolpersteines.
Flashmob zum IDAHOBIT am 17. Mai 2019
Am 29.11.2019 konnte der Stolperstein für Werner Kähler vor der Sporthalle in der Brüderstraße, ehemalige Turnerstraße, verlegt werden. An der Verlegung beteiligten sich verschiedene Gruppen und Vereine, wie beispielsweise der Rosa Linde Leipzig e.V., die sich deutlich gegen die Diskriminierung von homosexuellen oder queeren Menschen positionieren und sich in diesem Bereich stark engagieren. Wir freuen uns über die vielfache Unterstützung dieses Projektes, welches das erste seiner Art darstellt, das vom Erich-Zeigner-Haus e.V. betreut wurde. Wir möchten wir uns bei allen Schüler*innen, Redner*innen, Besucher*innen und Teilnehmer*innen für die wichtige Arbeit, die Unterstützung und das Interesse bedanken. Besonderer Dank gilt überdies der Projektleiterin Gloria Pfister, die nicht nur bei der Recherchearbeit, sondern auch bei der Spendensammlung und der Gestaltung der Verlegungsveranstaltung unterstützend an der Seite der Schüler*innen-AG stand.
Werner Richard Kähler, geboren am 18. November 1912, führt bis zu seinem 21. Lebensjahr ein unauffälliges Leben. Er wohnte zunächst in Hamburg. Seine Eltern waren der Lagerführer Richard Kähler und dessen Frau, Franziska Kähler (geb. David). Werner Kähler war gelernter Kristallschleifer, gehörte der evangelischen Religion an und besaß die deutsche Staatsangehörigkeit. Nach der Verschärfung des §175 am 01. September 1935, der gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, wurde Kähler erstmals von den Nationalsozialisten festgenommen. Am 13.09.1935 wurde er dann wegen „widernatürlicher Unzucht zwischen Männern“ zu fünf Monaten Haft verurteilt. Trotz seiner Entlassung im Dezember 1935 wurde er 1936 wieder in polizeiliche „Vorbeugehaft“ und 1937 ins KZ Fuhlsbüttel bei Hamburg überführt. Dort blieb er für circa 3 Monate.
Nach seiner Entlassung verließ Kähler er am 23.11.1937, wenn auch unter Aufsicht, Hamburg. Er kam daraufhin in der Kantine „Glückauf“ bei Willbrandt in Quickborn unter. Es lässt sich vermuten, dass er dort bei seiner Mutter unterkam, die verwitwet war und zuvor den Namen Willbrandt getragen hatte. In Quickborn blieb Werner Kähler vier Tage, bevor er am 27.11. weiter nach Leipzig zog. Dort musste er seine neue Wohnung im Täubchenweg 14 in der Herberge „zur Heimat“ der Kriminalpolizeistelle melden. Im Januar 1938 begann er in der Kieselgrube Breloh in Munster Grubenarbeit für die Firma „Kliefoth“-„Brahmer“ zu verrichten, wo er schließlich Erhard Otto Hartmann kennenlernte. Im Zuge ihrer gemeinsamen Arbeit lernten sich die beiden besser kennen, sodass Erhard Hartmann noch im selben Jahr zu Kähler nach Leipzig zog. Die beiden bewohnten gemeinsam eine Wohnung in der Karlstraße 12. Hartmann wurde jedoch bald darauf zum Westwall in Frankreich dienstverpflichtet. Als Hartmann später für eine Woche zurück nach Leipzig kam, wurden sie am 22.06.1940 bei einer Razzia in der Gaststätte Burgkeller von der Gestapo festgenommen. Am nächsten Tag gestand Kähler bei einer Vernehmung, in intimen sexuellem Kontakt mit Erhard Hartmann gewesen zu sein.
Kählers letzter Aufenthaltsort vor der Haft ist die Turnerstraße 9, in der er wohnte. Wegen eines Haftbefehls kam er Anfang Juli 1940 in Untersuchungshaft und am 10.08. wurde auf Grund des §175 Anklage erhoben. Nachdem das Hauptverfahren am 27.08. eröffnet wurde, wurde er vom Landgericht am 12.10.1940 zu einem Jahr Gefängnis und 3 Monaten Untersuchungshaft verurteilt. So wird er am 26.10.1940 vom Untersuchungsgefängnis ins Zuchthaus in Bautzen überführt, wo er bis zum 28.06.1941 seine Haft absaß und dann der Geheimen Staatspolizei Leipzig zugeführt wurde. Kähler wurde am 10.09.1941 nach Buchenwald überführt. Am 14.03.1942 dann nach Ravensbrück und am 03.03.1945 wurde er nach Sachsenhausen deportiert. Diese Zeiten haben ihn schwer mitgenommen. Was in dem KZ mit Hartmann passierte, ist uns unbekannt. Fest steht, dass er in Sachsenhausen mit eingewiesen wurde. Trotz all dem überlebte Kähler diese Zeiten und starb dann an schwerer Krankheit am 24.10.1987 in Hamburg.
Die AG „LGBTQ+ & Allies“ und die Projektleiterin Gloria Pfister am Tag der Verlegung
Das Projekt wurde gefördert vom Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“ durch den Freistaat Sachsen.