Die Stillen Helden Isidor-Helmut und Anna Amalia Zistler

Von April 2019 bis Juni 2020 beschäftigten sich Schüler*innen der 12. Klasse des Neuen Nikolaigymnasiums mit dem Schicksal von Anna Amalia und Isidor-Helmut Zistler. Das Ehepaar beteiligte sich in der Zeit des Nationalsozialismus am Rettungswiderstand – beide können daher als „Stille Helden“ bezeichnet werden.
Die Projektgruppe, die durch den Erich-Zeigner-Haus e.V. inhaltlich begleitet sowie bei der Recherche unterstützt wurde, kam zu folgenden Recherche-Ergebnissen:

Anna Amalia Zistler, geborene Buchheim, wurde am 10.10.1878 in Leipzig geboren. Sie arbeitete als Pädagogin an der Leipziger Theaterhochschule und war Sängerin unter Hans Hiller in der Großen Leipziger Gemeindesynagoge in der Gottschedstraße.

Isidor-Helmut Zistler wurde am 01.10.1908 in Leipzig Anger-Crottendorf geboren. Sein Vater war römisch-katholisch, seine Mutter evangelisch-lutherisch. Beide betrieben eine Bäckerei in Leipzig. Isidor Zistler war gelernter Kaufmann in der Nahrungsmittelbranche, betrieb ein Lebensmittelgeschäft und arbeitete von 1933 bis 1934 als Schauspieler, Sänger und Sprecher am Operettentheater und Schauspielhaus Sophienstraße. Auf Anraten von Anna Amalia und Max Pollack stellte er unter der Herrschaft der Nationalsozialisten einen Antrag auf NSDAP-Mitgliedschaft, welcher im Mai 1938 positiv beschieden entschieden wurde. Grund für die Antragsstellung war die Hoffnung auf mehr Sicherheit vor allem in Bezug auf den geleisteten Rettungswiderstand. 1934 erhielt er ein Berufsverbot am Operettentheater und Schauspielhaus, im Dezember 1935 wurde sein Lebensmittelgeschäft durch die Gestapo geschlossen. Die Gestapo misshandelte ihn zwei Mal schwer. Isidor-Helmut Zistler wurde also rassisch verfolgt – unter dem Vorwand, jüdisch zu sein. Dies lag an seinem Namen „Isidor“, ein bekannter jüdischer Name. Vom 08.04.1937 bis zum 21.08.1937 war er im Leipziger Polizeigefängnis inhaftiert. Obwohl zuvor zweimal als „wehrunwürdig“ klassifiziert, diente er von Juni 1940 bis August 1943 als Soldat in der Wehrmacht.

Über dreieinhalb Jahre beteiligten sich Anna Amalia und Isidor-Helmut Zistler, damals noch nicht verheiratet, am Rettungswiderstand jüdischer Menschen in Leipzig, was sie als Stille Helden auszeichnet. Fünf Menschen versteckten sie dabei in ihrer Wohnung: Dr. Baruch Cires (Assistenzarzt im Israelitischen Krankenhaus) und dessen Gattin Susi, Minchen (Minna) Scharf und Gatte Karl sowie Max Pollack. Dr. Cires und seine Ehefrau wurden am 13.7.42 nach Osten deportiert und gelten als verschollen. Minna Scharf wurde am 17.2.43 nach Berlin und von dort am 26.2.43 nach Auschwitz deportiert. Ihr Mann Karl Scharf wurde 1940 nach Buchenwald und später in das KZ Ravensbrück deportiert, wo er am 29.6.1942 starb. Max Pollak wurde am 15.11.39 nach Sachsenhausen, am 6.9.40 nach Dachau deportiert. Die Urne mit seinen sterblichen Überresten wurde ebenso wie die Urne des Karl Scharf später aus Dachau bzw. Ravensbrück nach Leipzig geschickt und auf dem Alten Israelitischen Friedhof beigesetzt.

Nach ihrer Hochzeit am 21.10.1948 in Leipzig flohen die Zistlers 1954 nach Westberlin. Ebenso wie seine Frau unterrichtete auch Isidor-Helmut nach dem Krieg Gesang in Berlin. Zudem betrieb er einen Kiosk, der durch die Baubehörde geschlossen wurde, bevor mit einer geplanten Bautätigkeit begonnen wurde.

Anna Amalia Zistler wurde auf einen Antrag hin am 27.07.1961 (Entschädigungsamt Berlin & Senat Berlin im Rahmen der Aktion „Unbesungene Helden“) als „Unbesungene Heldin“ aufgenommen. Sie starb im Dezember 1965 in Berlin, ihr Gatte ebenso im Dezember desselben Jahres. Beiden wurden schriftlich ein Dank und eine Geldsumme aufgrund ihres Engagements zugesprochen.*

*Anmerkung der Projektleitung: Einige der im Projekt bearbeiteten Angaben sind auf Eigenauskünfte des Ehepaares zurückzuführen.

 

 

 

Zu Ehren des Engagements der „Stillen Helden“ Anna Amalia und Isidor-Helmut Zistler wurde am 20. Juni 2020 um 17 Uhr eine Gedenktafel eingeweiht und an der Hausfassade im Poetenweg 12a angebracht – dort, wo das Ehepaar einst lebte.

Das Projekt wurde gefördert vom Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“ durch den Freistaat Sachsen.