Über das aktuelle Demogeschehen im Land – Informationsbeitrag & Aufruf zum Widersprechen

Seit ziemlich genau einem Jahr erleben wir regelmäßige Proteste auf den Straßen, die nicht nur aufgrund der besonderen Bedingungen ihres Zustandekommens für großes Aufsehen sorgen. Die sogenannten „Querdenken-Proteste“ machen stattdessen auch damit auf sich aufmerksam, dass sich die Zusammensetzung der Demonstrierenden-Gruppe zunehmend veränderte. Zwar war die Masse der Protestierenden schon von Beginn an eher heterogen – von „gewöhnlichen“ Bürger:innen und besorgten Eltern, über friedliebend auftretende Waldorfpädagog:innen und Esoteriker:innen bis hin zu Anhänger:innen der AfD, der Reichsbürgerbewegung und antisemitischer Verschwörungsmythen. Auch wehende Reichskriegsflaggen und rechtsextremistische Symbole machten in der scheinbar „bunten“ Masse auf sich aufmerksam – wurden jedoch gerne von den Teilnehmenden der Proteste übersehen und akzeptiert, legitimiert durch das „gemeinsame Ziel“ und die geteilte „Kritik“ an den Maßnahmen der Regierung.

Die Proteste in Großstädten wie Frankfurt, Berlin oder Leipzig sind dabei eine Sache, die uns nachdenklich und besorgt stimmt. Die, wie es scheint, zunehmende Gewaltbereitschaft, die rechten Parolen, das Postulat einer Diktatur und einer angeblichen Gefährdung der Bevölkerung durch Impfungen ist dabei nur ein Teil dessen, was uns beunruhigt. Auch der stete Rückgriff auf antisemitische Ressentiments, Holocaust-Verharmlosungen und NS-Vergleiche beschäftigt uns und viele andere, die sich (u.a.) im politischen Bereich engagieren wollen oder politische Bildungsarbeit leisten.

Und doch bekommen wir häufig nur das mit, was sich direkt vor unserer eigenen Haustür abspielt oder uns im Fernsehen zusammengefasst wird. Wir möchten in diesem Beitrag auf die Lage in den umliegenden Landkreisen der Stadt Leipzig eingehen, in dem sich in den letzten Wochen ebenfalls die Proteste häufen.

Bei den zumeist an Montagabenden durchgeführten Protesten handelt es sich nicht um offizielle „Querdenken“-Demos, sondern um Proteste deutlich rechtsgerichteter und verfassungsfeindlich ausgerichteter Gruppen und Einzelpersonen, die unter dem Deckmantel der Maßnahmenkritik ihren Unmut auf die Straße tragen und so Unterstützung der Anwohner:innen suchen.

Am vergangenen Montag, den 19.04., gingen u.a. in Geithain, Colditz, Wurzen und Trebsen Menschen auf die Straßen, um (offiziell) gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu demonstrieren. Doch die Situation eskalierte – es gab mehrere Angriffe auf Beamt:innen, Einschüchterungsversuche gegenüber der Pressevertreter:innen vor Ort und vorläufige Festnahmen. In Geithain und Wurzen waren dabei jeweils mehr als 100 Personen Teil des Protestes gewesen.

In Trebsen, zwischen Bennewitz und Colditz, waren bei Protesten auch „viele rechte Flaggen und Symbole“ – darunter auch zahlreiche Reichskriegsflaggen – zu sehen gewesen, wie die LVZ im Anschluss berichtete. Auch die Wirmer-Flagge, die gerne auf Demonstrationen und Kundgebungen der Neuen Rechten hochgehalten wird, war zugegen. Rechtsgerichtete Symbole waren in Trebsen zwar verstärkt, insgesamt aber in allen Protesten auszumachen.

Uns besorgt, dass diese Proteste im Land in der Rezeption der Großstädter:innen „untergehen“ könnten – da derzeit so vieles auch in den Städten passiert. Auch befürchten wir, dass viele, die vielleicht üblicherweise nicht Unterstützer:innen rechter und rechtsextremer Gruppierungen und Positionen wären, von der allgemeinen Protestbewegung mitgezogen werden könnten – weil sie von der aktuellen Zeit verunsichert oder zum Beispiel persönlich durch wirtschaftliche Einbuße etc. betroffen sind. Für viele ist es zudem nach eigenen Aussagen nicht problematisch, mit Rechtsradikalen gemeinsam zu protestieren – das kennen wir schon von „Querdenken“. Viele sehen die Problematik hinter den wehenden Reichskriegsflaggen in ihrer Mitte nicht. Und wiederum andere gehen derzeit vielleicht nicht dagegen auf die Straße, weil sie Angst vor einer Ansteckung oder aber der Dynamik der Proteste haben, die so viel kleiner sind als beispielsweise in Leipzig.

Es sind schwierige Zeiten für große Demonstrationsaufrufe.
Was wir anregen möchten ist daher die Selbstinformation, die Auseinandersetzung mit den Geschehnissen im Land und vielleicht auch die Mobilisierung zum Gegenprotest.

Die nächsten Demonstrationen im Land sind größtenteils noch nicht offiziell angemeldet. Nach Aussage eines Teilnehmers des Wurzener Protests sind hier zumindest regelmäßige Proteste geplant und bereits durchgeführt worden – stets montags und freitags. Auch sind unseren Informationen zufolge* für Colditz nächste Demonstration am kommenden Montagabend geplant. Hier wurde allerdings bereits Gegenprotest unter dem Motto „Laut statt out: Für Anstand, Abstand & Solidarität“ angekündigt. Dieser soll am Colditzer Markt um 18.30 Uhr beginnen.

Wer also die Menschen im Land unterstützen möchte und kann und sich gegen die Proteste, die gerade deutlich von Rechten vereinnahmt werden, stellen will, sei zum Teilen dieses Aufrufs, zur Selbstinformation und -organisation eingeladen.

Wir möchten aber darauf hinweisen, dass ein sicheres Gefühl, eine Bezugsgruppe oder Kontaktperson dabei stets wichtig sein sollten – Demonstrationen im Land laufen häufig anders ab als hier in Leipzig, was nicht zuletzt auch der geringeren Größe geschuldet ist.

Wir danken Ihnen und Euch für die Unterstützung, das Engagement und die Bereitschaft, dieses Anliegen zu teilen und nach außen zu tragen.

Das Team vom Erich-Zeigner-Haus e.V.

 

* Für weiterführende Informationen zu jeweils aktuellen Demonstrationen ist eine weitere Recherche notwendig, da sich die Anmeldung dieser Veranstaltungen oft sehr kurzfristig gestaltet.